Funkes Wachstumsstrategie für Lokaljournalismus: Märkte in Betreuung wachsen deutlich

Wie kann Lokaljournalismus für Verlage profitabel sein? Ein erfolgreiches Praxisbeispiel zeigt, wie es geht.

Die Luft für Verlage wird dünner: Während die digitale Transformation in vielen Medienhäusern noch in den Kinderschuhen steckt, entwickelt sich künstliche Intelligenz rasant weiter. Nicht nur die Suche im Netz könnte revolutioniert werden - auch die Bereitstellung und Nutzung von Inhalten könnte sich nachhaltig verändern.

Umso wichtiger ist es für Verlage, sich mit aller Kraft auf die Erschließung digitaler Erlösquellen und Zielgruppen zu konzentrieren. FUNKE Niedersachsen hat dazu im vergangenen Jahr das Projekt „Lokale Märkte“ gestartet. Die zugrundeliegende Strategie stellte Geschäftsführerin Tatjana Biallas im Januar-Webinar von Forward Publishing vor.

Gibt es ein perfektes Gleichgewicht zwischen Reichweite und Abo?

Im Digital News Publishing Barometer 2022 sagt der Geschäftsführer eines großen deutschen Verlags: „[Die digitale Plattform] muss am Ende profitabel sein und das wird sie durch verschiedene Geschäftsmodelle – nicht nur durch eins – und indem man die Kundenbeziehung möglichst optimal nutzt, um sie zu monetarisieren.“

Während klassische Zeitungsverlage dringend ihr Angebot diversifizieren müssen, um wirtschaftlich stabil zu sein, beginnt die Optimierung natürlich bei den beiden traditionellen Erlösströmen, werbefinanzierte Reichweite und Abos. Eine Paywall führt beispielsweise nicht automatisch zu Abonnements.

Die potenziellen Abonnent:innen müssen zuerst für das Angebot begeistert werden. Die Frage muss also spezifischer sein: Wie kann eine Balance zwischen werbefinanzierten Gratisangeboten und Abonnements gefunden werden?

Funke verfolgt die Strategie „Abonnement vor Reichweite“. „Das bedeutet für uns die Konzentration auf Qualitätsjournalismus“, erklärt Tatjana Biallas. „Der kann und darf nicht kostenlos sein, um unabhängige Berichterstattung zu gewährleisten - für eine offene und informierte Gesellschaft.“

Marktanalysen und ein interdisziplinäres Team

Dieses Ziel und die dahinterstehende Strategie erfordern die Zusammenführung verschiedener Ressorts, die früher (und teilweise auch heute noch) getrennt voneinander arbeiteten. „Wir müssen radikaler denken“, fordert Alexander Drößler vom Landwirtschaftsverlag im Digital News Publishing Barometer 2022. „Ein Printprodukt online zu stellen und ein Preisschild dranzuhängen reicht nicht.“ Vielmehr sei der Fokus auf Zielgruppen und ihre Bedürfnisse wichtig und das gelingt am besten im interdisziplinären Team.

Bei Funke arbeiten deshalb Redaktion, Datenanalyst:innen, Audience Development, Vertrieb und Marketing zusammen. Das ehrgeizige Ziel: Bis 2025 will Funke eine Million Abos verkaufen. Dafür werden 120 Städte und Regionen in lokale Märkte eingeteilt und datenbasiert analysiert:

  • Welche Bedürfnisse haben die Nutzer:innen in dem spezifischen Markt? Je nach Stadt und Region sind die Interessen unterschiedlich.
  • Wie ist die Wettbewerbssituation vor Ort? In Wolfsburg muss sich Funke etwa die Stadt mit Madsack „teilen“, was andere Strategien erfordert, um beispielsweise aktueller als die Konkurrenz zu sein.
  • Wie hoch ist die Kaufkraft? Je nach Stadt und Standort können oder müssen unterschiedliche Angebote gemacht werden.
  • Welche redaktionellen Ressourcen sind vorhanden? Oft arbeiten wenige Journalist:innen vor Ort am Lokalteil für Print und managen auch noch den Online-Auftritt.

Daten erheben, priorisieren, Detailstrategie ausarbeiten

Anhand dieser Informationen kann eine Klassifizierung und Priorisierung vorgenommen werden. Wo sind die besten Ergebnisse zu erwarten? Mit diesen Märkten beginnt Funke Anfang 2022 und alle anderen Märkte kommen nach und nach hinzu.

In einem ersten Schritt wird mit Hilfe einer sogenannten Durchdringungsmatrix festgelegt, ob die Strategie in dem jeweiligen Markt auf Reichweite oder auf Abonnement ausgerichtet wird.

Ziel ist es, zuerst eine seitliche und danach eine Aufwärtsbewegung in der Matrix zu erzielen. Die Einordnung hängt auf der X-Achse von den „Unique Users“ im prozentualen Verhältnis zur ermittelten Marktgröße ab.

Auf der Y-Achse wird die Menge an „Fans“ gemessen: Als „Fan“ gilt, wer in 30 Tagen mindestens 19-mal die Webseite besucht hat.

Zu Beginn steht eine Reichweitendurchdringung, die Menschen müssen schließlich erst erfahren, welche Qualitäts-Inhalte sie bei Funke bekommen.

Schritt 1: Reichweite erzeugen und Teams ausbilden

Ein aufwendiges, sechswöchiges Onboarding der jeweiligen Lokalredaktion beinhaltet mehrere wichtige Trainingsschritte, ein dezidierter Audience Development Manager begleitet diesen Prozess. Täglich werden Daten ausgewertet und darauf aufbauend Themenentscheidungen getroffen.

Dateninformiertes Arbeiten lernen die Redaktionen bei Funke in sechs Bereichen:

  • Verwertbare Daten finden: Es genügt nicht, viele Daten zu sammeln. Sie müssen sinnvoll ausgewertet und dann in die tägliche Arbeit integriert werden, damit sie bewusste inhaltliche Entscheidungen beeinflussen können.
  • SEO-Training: Man kann nicht einfach einen Zeitungsartikel hochladen und glauben, dass das funktioniert. „Fast 80 Prozent der Inhalte führen weder zu Reichweite noch zu Abonnements“, sagt Tatjana Biallas im Webinar. Der richtige Umgang mit Suchmaschinen und Empfehlungssystemen wie Discover muss gelernt sein.
  • Paid-Quote auf 50 Prozent senken: Funke hat die Erfahrung gemacht, dass Nutzer:innen rund acht bis zehn Mal auf Paywalls stoßen müssen, bis sie überlegen, ein Abo abzuschließen. Ohne kostenlose Inhalte kommen sie aber gar nicht erst „oben in den Trichter“ und haben somit nie echte Berührungspunkte mit dem Produkt.
  • Headline-Struktur überarbeiten: Zeitungsüberschriften, die bereits viel Information enthalten, haben nichts mit einer digitalen Headline zu tun, die neugierig machen muss.
  • Thementeams: Funke löst sich von den klassischen Ressorts, die beispielsweise Sport allgemein abbilden. Stattdessen werden je nach lokalen Bedürfnissen Themen identifiziert und dafür Teams gebildet. In Wolfsburg ist etwa VW ein Fokusthema, in Braunschweig Fußball rund um die Eintracht.
  • 12 Artikel pro Tag: Um Reichweite zu erzielen, braucht es eine entsprechende Veröffentlichungsfrequenz. Das bedeutet nicht, dass krampfhaft nach Themen gesucht wird: Stattdessen hilft es auch, nicht alle Informationen in einen Artikel zu packen, sondern mehrere Artikel mit jeweils unterschiedlichen Informationen zu schreiben.

Je nachdem, wie weit der Markt nach den sechs Wochen ist, startet dann die nächste Phase.

Schritt 2: Loyalisierung der Zielgruppe

Bei der Loyalisierung werden weitere Kanäle erschlossen oder ausgebaut, um die neuen (oder alten) Leser:innen zu binden und zu Abonnent:innen zu konvertieren. Dazu gehören bei Funke etwa folgende Maßnahmen:

  • Facebook-/Instagram-Analyse: Welche Inhalte funktionieren dort wann besonders gut? Communities werden auf- und ausgebaut.
  • Newsletter optimieren: Direktansprache im eigenen Postfach mit eigenen Themen.
  • User Generated Content: Mitmach-Mentalität stärken – Dein Content für unsere Region.
  • Lokale Gewinnspiele: Wer gewinnt nicht gerne mal etwas? Auch das kann die Bindung stärken, vor allem wenn es einen persönlichen und regionalen Bezug hat.

Funkes neue Strategie: Funktioniert die Markterschließung?

Die Ergebnisse zeigen, dass Märkte in Betreuung und mit einer klaren Strategie deutlich stärker wachsen. Das ist aufwendig, es benötigt Zeit und motiviertes Personal – aber es lohnt sich.

Die visuell aufbereiteten Ziele in den Daten-Dashboards tragen zur Motivation in den Redaktionen bei. Ebenso wichtig ist der regelmäßige Austausch zwischen Lokalredaktion, Chefredaktion, Audience Development und Vertrieb: Nur durch gute Kommunikation entsteht Zusammenhalt und das Gefühl, gemeinsam an einer wichtigen Mission zu arbeiten – und  das ist bei Funke die Mission für guten Lokaljournalismus.

Das gesamte Webinar können Sie sich hier noch einmal anschauen: