Wie Kölner Stadt-Anzeiger Medien seine Lokalredaktionen transformiert

Was ist nötig, um Lokalredaktionen digital zu transformieren, ohne sie zu überfordern oder zu überrollen?

Digitale Transformation ist ein dauerhafter Prozess, der jedoch nicht bloß neue Technologie oder Tools umfasst. Die beste Software nützt nichts, wenn die Unternehmenskultur und die Mentalität der Mitarbeitenden nicht ebenfalls transformiert wird.

Im ersten Forward Publishing Webinar 2023 zeigte FUNKE Niedersachsen, was der Spagat zwischen Abo und Reichweite mit digitaler Transformation zu tun hat – nämlich dateninformiertes Arbeiten, dass die Redaktionsprozesse bestimmt.

Unser zweites Webinar mit Michael Greuel, Mitglied der Chefredaktion des Kölner Stadt-Anzeigers, erlaubte einen weiteren Einblick in den Maschinenraum eines Regionalverlags: Wie werden die Lokalredaktionen des Kölner Stadt-Anzeigers digital transformiert und welche Rolle spielt dabei die Redaktionskultur?

Digitale Transformation im Verlag: Sisyphos-Arbeit

Die Herausforderung ist vielen Verlagen geläufig: Digital-Themen kommen erstmal nur in der Zentrale an und werden dort diskutiert und ausgearbeitet. Die lokalen Außenredaktionen sind erst viel später dran – oder werden auch mal ganz vergessen.

"Das ist natürlich nicht zielführend, insbesondere für einen  Regionalverlag“, stellt Michael Greuel fest. Schließlich wird die Zielgruppe maßgeblich von den Außenredaktionen bedient. Beim Kölner Stadt-Anzeiger ist man sich deshalb einig: Die Transformation soll möglichst gleichzeitig erfolgen.

Das ist nicht einfach, denn digitale Transformation fühlt sich oft an wie Sisyphos-Arbeit: Täglich müssen unterschiedliche und oft neue Steine den Berg hochgerollt werden. Dieser Prozess ist zudem nie abgeschlossen. "Für alle Kolleginnen und Kollegen ist es daher wichtig, zu begreifen: Die Zeiten, in denen man sich alle fünf bis zehn Jahre verändern musste, sind längst vorbei.“

Ein Kulturwandel ist deshalb nötig. Das bestätigt auch die Studie Digital News Publishing Barometer 2022. Nicht nur die Online-Mentalität sei wichtig, "sondern eine dynamische Mentalität für Wandel und Veränderung.“ Das kann ein Verlag nur erreichen, wenn Mitarbeitende auf diese digitale Reise mitgenommen, auf die Zukunft vorbereitet werden und die Gelegenheit bekommen, sich weiterzuentwickeln. Das muss nicht immer nur ein Kraftakt sein: "Für mich als Führungskraft ist das die schönste Aufgabe“, sagt Michael Greuel.

Seine Aufgaben in der Rheinischen Redaktionsgemeinschaft drehen sich um fünf Redaktionen an acht Standorten, die zwischen drei und 15 Kolleg:innen umfassen. Insgesamt wird ein Einzugsgebiet von rund zwei Millionen Menschen erreicht. Das bedeutet auch, dass Entfernungen eine Rolle spielen: einige Redakteur:innen sind über eine Stunde Fahrtzeit entfernt. Damit sind diverse Herausforderungen verbunden.

Herausforderungen für Lokalredaktionen

Die unterschiedliche Geschwindigkeit der Adaption der Digitalisierung sowie voneinander abweichende Erwartungshaltungen in Zentrale und Außenredaktionen führten immer wieder zu Frustration auf beiden Seiten, berichtet Greuel. Er ist dabei selbstkritisch: Die Zentrale habe oft Dinge oder Prozesse vorausgesetzt, die in den Außenredaktionen noch gar nicht angekommen sind.

Transparenz und Kommunikation in der Führung brauchten also Anpassung. „Wir haben den Nachholbedarf gesehen, Kolleginnen und Kollegen besser mitzunehmen und in die Transformationsprozesse zu integrieren.“ Dazu kam, dass die Kommunikationswege uneinheitlich waren und viel Mehrarbeit durch Unklarheiten über Zuständigkeiten und Entscheidungswege verursacht wurden. Wieso werden welche Entscheidungen getroffen und wie? Welches Verhältnis sollen etwa Reichweite und Abos haben? Welche Zielkennziffern (KPI) verfolgen wir?

"Wir haben es verpasst, richtig zu kommunizieren, zu erklären, mitzunehmen“, sagt Greuel. Das ist im Verlagswesen oft zu beobachten, heißt es im Publishing Barometer 2022: „Oft ist ein großes Problem, dass den Redakteur:innen das übergeordnete Ziel nicht klar ist oder es nicht gut kommuniziert wird. Warum machen wir das jetzt so?“

"Auch das Interesse an KPIs, Messen, Daten, Auswertung und Interpretation der Daten war in den Außenredaktionen nie sonderlich ausgeprägt“, erklärt Michael Greuel. Der Grund: "Man fühlte sich – zu Recht – alleingelassen mit den Reportings und Zahlen.“

Komplett unterschiedliche Arbeitsweisen, andere Konferenzstrukturen, verschiedene Themenplanung und Ausspielung sorgten letztendlich für eine „Schwammigkeit“ und Ungleichheit, die sich negativ auf die gewünschten Kennzahlen in der Region auswirkte.

Die Grundlagen für Veränderung im Verlag

Gemeinsam mit den Kolleg:innen aus den Außenredaktionen wurde überlegt, was die neuen Prämissen der gemeinsamen Arbeit sein sollen. "Das sind keine besonderen Weisheiten“, stellt Greuel klar. "Aber hier ging es um wichtige, echte Basics für eine erfolgreiche, gemeinsame Zusammenarbeit.“

Bei Kölner Stadt-Anzeiger Medien einigte man sich auf folgende Eckpunkte:

Grundannahmen

  1. Digitale Abos sind der Wachstumsmarkt. Die Spirale bei Print zeigt nach unten, die gedruckten Ausgaben bleiben aber trotzdem ein wichtiges Thema.
  2. Jüngere Nutzende können (fast) nur digital erreicht werden
  3. Arbeitsprozesse müssen die Bedeutung des Digitalen abbilden: Digitaler Fokus bei allem, was wir tun.

Grundüberzeugungen

  1. Jede/r muss digital arbeiten wollen. Hier geht es um eine klare Digitalmentalität.
  2. Digitale Produktion ist Kernaufgabe der Redaktion, Print ist nachgelagert. Das bedeutet nicht, dass die Qualität gespart werden soll, aber beispielsweise zeitlich in erster Linie für digital geplant wird.
  3. Arbeitsrhythmen anpassen: Früher war die Hauptredaktionskonferenz erst gegen Mittag – da ist digital schon der Großteil der Messe gelesen.

Grundpfeiler

  1. Der Themenplan und die Ausspielung orientiert sich an digitalen Anforderungen
  2. Print- und Erscheinungsdaten sind nicht mehr maßgeblich
  3. Feste Textlängen und -formate

Veränderungsprozesse sind immer auch Kommunikationsprozesse

"Die genannten Elemente sind nicht der Stein der Weisen,“ erklärt Greuel. "Aber es war für uns enorm wichtig, das alles mal aufzuschreiben, als Grundsätze für die gemeinsame Arbeit zu formulieren und die Mitarbeitenden mitzunehmen und abzuholen.“

Besonders wichtig für Führungspersonen, die diesen Kulturwandel vorantreiben wollen: Sensibilität und Empathie. "Man darf nicht den Eindruck erwecken, alles, was in den letzten Jahren in den Lokalredaktionen geleistet wurde sei wertlos oder unbedeutend. Das ist es absolut nicht“, mahnt Greuel. "Das sind alles motivierte Menschen, die machen ihren Job gerne und es ist die Aufgabe der Führungskräfte, sie in der digitalen Transformation dahin zu begleiten, dass sie den Job auch weiterhin gern machen.“

Allerdings ist auch ein klarer Weg entscheidend: "Auf der anderen Seite muss man diese Prämissen auch mit einer gewissen Vehemenz und Konsequenz in den Tagesablauf bringen.“ Dafür sind Maßnahmen erforderlich.

Maßnahmen für eine erfolgreiche digitale Transformation

Bei Kölner Stadt-Anzeiger Medien werden seit einiger Zeit Transformationsvorgänge umgesetzt, hinterfragt und verbessert. Dazu gehört etwa die Anpassung von Strukturen und Workflows:

  • Einführung eines wöchentlichen Digital-Jour Fixe der Führungskräfte: Die Redaktionsleitung bleibt technologisch und prozessual am Ball und das Führungspersonal bekommt wertvolles Feedback direkt aus den Redaktionen.
  • Einführung eines internen Newsletters
  • Angebot von Hospitanzen in der Zentrale: Wie wird im zentralen Newsroom gearbeitet? Welche Strukturen gibt es dort? Wie ist die Themenplanung aufgebaut? Das Angebot wird gut angenommen!
  • Entlastung von Printaufgaben: "Wir können nicht verlangen, dass die Redakteur:innen neben der hochwertigen Print-Ausgabe auch noch digitale Aufgaben zusätzlich übernehmen.“

Kernbestandteil der Strategie bei Kölner Stadt-Anzeiger Medien ist die Bemühung, Routineaufgaben zu verringern, damit sich die Journalist:innen um gute Inhalte kümmern können. Michael Greuel: "Wir wollen erreichen, dass die reine Produktionsarbeit so wenig Zeit wie möglich frisst.“

Das hat auch die Wahl des neuen Editors beeinflusst: Mit Livingdocs (Partner unserer Publishingplattform Forward Publishing) kommt ein Redaktionssystem zum Einsatz, das für deutlich mehr Effizienz sorgt. In der Zentrale ist es bereits ausgerollt. Die Redakteur:innen der Außenredaktion sind ebenfalls bereits darin geschult und sollen bald auch vollen Zugriff darauf erhalten.

Weitere Maßnahmen umfassen etwa

  • Veränderung der Konferenzstrukturen,
  • Einführung vereinfachter Dashboards und Reportings
  • und die Etablierung klarer Kommunikationswege.

Außerdem wurde ein zentrales Support-Team aufgebaut, dass jederzeit für die Mitarbeitenden ansprechbar ist. Das Team unterstützt unter anderem bei der

  • digitalen Distribution von Lokalinhalten,
  • der Optimierung von Inhalten (etwa SEO) inklusive Feedback,
  • der verbesserten Themenplanung durch stärkere Vernetzung mit der Zentrale sowie durch
  • Schulungen und Workshops, um die Kolleg:innen immer mehr zu Digitalexpert:innen zu machen.

Diese Maßnahmen sind bei Kölner Stadt-Anzeiger Medien nicht einfach "vom Himmel gefallen“. Mit Modellredaktionen hat der Verlag konsequent daran gearbeitet die bisherigen Schwachstellen auszumerzen. Das hat direkt und messbar zu besseren Ergebnissen geführt.

Und was gibt es als Grundlage für eine erfolgreiche digitale Transformation besseres als Daten, die den Erfolg belegen?

Das gesamte Webinar können Sie im Video nachsehen.