Softwarehersteller können sich nicht nur darauf beschränken, ein Produkt zu liefern

Als Präsident der Swiss Internet Industry Association (Simsa) und CEO der Softwarefirma Netcetera verfolgt Andrej Vckovski die Entwicklungen der ICT-Branche sehr aufmerksam. Im Interview erklärt er im Schweizer ICT Jahrbuch, wie Start-ups geholfen werden könnte, warum die Cloud ein Umdenken in der Branche erforderlich macht und welche Ziele er sich als Unternehmer setzt.

Herr Vckovski, welche Entwicklung hat Sie als Simsa-Präsident 2013 besonders gefreut?

Mit der Simsa ist es uns dieses Jahr gelungen, die nächste Generation anzusprechen und stärker für die Anliegen des Verbands zu begeistern. Unternehmer, die schon länger im Geschäft sind, erkennen in der Regel, dass es sinnvoll ist, sich kollektiv zu organisieren und gewisse Themen anzugehen. Bei jüngeren Personen, die gerade dabei sind, ein Unternehmen auf die Beine zu stellen, haben Verbandsthemen wenig Priorität. Das ist eigentlich erstaunlich, denn viele aktuelle Themen wie beispielsweise die Netzneutralität sind gerade für Start-ups im Onlinebereich sehr bedeutsam. Obschon Jungunternehmen nicht unbedingt Verbänden beitreten, organisieren sie sich gleichwohl. Unser Ziel war also, diese Leute an bestimmten Anlässen anzusprechen und sie so weit wie möglich zu integrieren.

Konnten Sie also einige neue Mitgliedschaften verzeichnen?

Ja, wir haben ein paar Mitglieder dazugewinnen können, nicht zuletzt dank unserer neuen Start-up-Mitgliederkategorie, die wir letztes Jahr einführten. Wir haben auch eine aktive Zusammenarbeit mit anderen losen Start-up-Gruppierungen angestrebt. Mit den Leuten der Initiative «Internet Rockstars» stehen wir nun im intensiven Austausch. Uns geht es nicht darum, den jungen Leuten reinzureden. Vielmehr möchten wir Ihnen einfach einen institutionellen Rahmen anbieten, wenn sie einen solchen benötigen. Natürlich geht es uns aber auch darum, eine Nachfolge innerhalb des Verbands sicherzustellen.

Was brauchen Start-ups Ihrer Ansicht nach, um zu gedeihen?

Ich glaube, Jungunternehmen brauchen vor allem Kunden. Je früher ein Unternehmen zahlreiche Kunden gewinnen kann, desto besser wird es sich entwickeln. Im Gegensatz zur Biotechnologie müssen junge ICT-Unternehmen keine teuren Maschinen und Labore kaufen. Im Prinzip reichen ein Notebook und ein Ort, wo man arbeiten kann. Insofern ist Geld in der Startphase nicht so wichtig. Viel wichtiger ist es, einen Weg zu finden, die eigenen Lösungen und Angebote unter die Leute zu bringen. Der Schweizer Markt hat diesbezüglich den Nachteil, dass er für B2C-Lösungen nicht beliebig gross ist. Aus diesem Grund versuchen viele Unternehmen, im B2B-Bereich Fuss zu fassen. Hier würde ich mir mehr kundenseitige Unterstützung wünschen. Viele grosse Firmen haben Angst davor, Lösungen zu übernehmen, die sich noch nicht bewährt haben. Dabei hätten gerade grössere Unternehmen die Mittel, Start-ups zu unterstützen. Auch der Staat, ein wichtiger Auftraggeber im ICT-Bereich, hält sich in dieser Hinsicht zurück. Ich sehe viele Ausschreibungen, die ausdrücklich sowohl moderne als auch bewährte Lösungen wünschen. Das ist Unsinn. Wenn sich eine Lösung bewährt hat, ist sie kaum noch modern. Ist sie innovativ, hatte sie noch keine Zeit, sich zu bewähren.

Welche konkreten Massnahmen würden Start-ups helfen, Kunden zu finden?

Eine Lösung wäre so etwas wie eine Risikogarantie für Start-ups. Die Exportindustrie kennt schon lange Garantien, die den Schaden kompensieren, wenn ein Auftraggeber seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt. Einen anderen Ansatz verfolgen die Vereinigten Staaten. Indem sie relativ viel unter dem Begriff Forschung laufen lassen, geraten sie nicht in dieselbe Beschaffungsbredouille wie wir. Die Defense Advanced Research Projects Agency, kurz DARPA, förderte auf diesem Weg schon viele Start-ups. So gelangen Aufträge auch an kleine Unternehmen, die sonst mangels Referenzen leer ausgingen.

Ihr eigenes Unternehmen Netcetera verzichtete von Beginn an auf Fremdkapital. Würden Sie Jungunternehmern empfehlen, es Ihnen gleichzutun?

Ja, unbedingt. Jungunternehmen sollten Fremdkapital nur dann einsetzen, wenn es wirklich nicht anders geht. Ich erhalte regelmässig Businesspläne von Leuten, die etwas auf die Beine stellen wollen. Ich schaue dann immer, wofür sie das Geld brauchen. Wenn das Geld einzig dazu dient, ein Jahr lang Löhne auszubezahlen, schlage ich den Leuten eher vor, sich von Freunden oder der Familie durchfüttern zu lassen und erst später - beispielsweise für eine Marketingkampagne - Geld aufzutreiben. Je später man sich für eine Kapitalspritze entscheidet und je kleiner der Anteil Fremdkapital am Unternehmen ist, desto flexibler kann das eigene Unternehmen geführt werden. Viele Anleger sind jedoch schon eher darauf aus, kurzfristigen Erfolg anzustossen.

Welche Massnahmen sollten ergriffen werden, um den ICT-Sektor insgesamt zu fördern?

Ein grosses Thema ist der Fachkräftemangel. Angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre gehe ich schon davon aus, dass die Bedeutung des Digitalen in Zukunft eher weiter zu- als abnehmen wird. Folglich wird auch der Bedarf an Fachkräften weiter steigen. Im Hinblick auf diese Entwicklung ist für uns als Verband wichtig, dass die bestehende Personenfreizügigkeit nicht eingeschränkt wird. Ein anderer Grund für den Fachkräftemangel ist der Umstand, dass es uns bis jetzt nicht gelang, das Berufsbild des Informatikers pensionsfähig zu machen. Die wenigsten Informatiker bleiben bis 65 im Beruf. Meist verschwinden die Leute mit 50 aus dem Pool der IT-Fachkräfte, weil sie zum Beispiel ins Management wechseln. Dazu kommt, dass sich die Fachverbände momentan stärker auf die Aus- als auf die Weiterbildung fokussieren. Die Frage nach dem Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit wird gerne dem Einzelnen überlassen.

Welche technologische Entwicklung der letzten Jahre halten Sie für die bedeutsamste?

Wenn ich die letzten Jahre Revue passieren lasse, gibt es für mich im Hinblick auf IT-Innovationen zwei grosse Stichwörter: Mobile und Cloud. Zunächst gefiel mir der Begriff Cloud überhaupt nicht, da ich der Ansicht war, dass diese Bezeichnung für alten Wein in neuen Schläuchen stand. Dann merkte ich, dass das Thema Cloud ein gewisses Umdenken erforderlich machte und sich bei Nutzern und Anbietern erst die Einsicht durchsetzen musste, dass man nicht alles besitzen muss, um es zu gebrauchen. So betrachtet hat Cloud viel mit dem Aufkommen der Elektrizität im 19. Jahrhundert gemeinsam. Zunächst besassen die Unternehmen private, kleine Elektrizitätswerke. Mit der Zeit erkannten sie, dass es sinnvoller wäre, ein grosses Elektrizitätswerk für alle zu bauen. Und so verhält es sich auch mit all dem "IT-Blech" im eigenen Keller.

Was bedeutet dieser Wandel für Sie als Softwareentwickler?

Die Cloud verändert das Vertriebsmodell der Softwareentwickler. Wo früher Datenträger wie CDs zum Einsatz kamen, können Kunden nun die gewünschte Software direkt aus der Cloud beziehen. Damit entstanden aber auch neue Risiken für Unternehmen. So können Mitbewerber eines Softwareherstellers heute beispielsweise ziemlich leicht sehen, was Konkurrenzlösungen alles können. Weiter können sich Softwarehersteller heute nicht mehr darauf beschränken, eine Lösung zu liefern. Sie müssen ihre Produkte auch betreiben und sicherstellen, dass sie stets einwandfrei laufen. Schliesslich ändert das Cloud-Modell auch die Art und Weise, wie Software aufgebaut wird. Im Moment sind viele Lösungen noch nicht imstande, mit dem elastischen Ressourcenangebot der Cloud-Betreiber mitzuhalten. Das heisst, die Kunden erhalten von ihrem Provider ein skalierbares Angebot, aber ihre Software kann in puncto Skalierbarkeit nicht mithalten. In den nächsten Jahren wird es also darum gehen, Lösungen für solche Probleme zu finden.

Wie erleben Sie die Veränderungen kundenseitig?

Es erstaunt mich immer wieder, wie schwer sich Behörden mit der Cloud tun. Viele haben heute noch immer das Gefühl, dass ihre Daten im Keller des Verwaltungsgebäudes sicherer aufgehoben sind als in einem modernen Rechenzentrum. Private Firmen, auch kleine, sind vergleichsweise viel eher bereit, in die Cloud zu gehen. Stark regulierte Unternehmen sind hingegen in Sachen Cloud sehr zurückhaltend. Genau in diesem Bereich könnte der Staat eine wichtige Rolle spielen und mit einem entsprechenden regulativen Spielraum konkrete Innovationsförderung betreiben. Es macht einen grossen Unterschied, ob beispielsweise eine Finanzmarktaufsicht sagt: «Solange wir keine Strategie entwickelt haben, dürft ihr nicht in die Cloud», oder ob sie mitteilt: «Macht mal, wir beobachten und korrigieren gegebenenfalls nachträglich etwas die Rahmenbedingungen.»

Wohin geht die Reise in den nächsten Jahren?

Wir zielen mit unserer Geschäftstrategie in Richtung «Mission Critical Systems» und Innovation. Das heisst, wir möchten in Zukunft unsere Kräfte verstärkt für die Unterstützung von Prozessen aufwenden, die überlebenswichtig fürs Geschäft unserer Kunden sind. Innovation spielt für die Erreichung dieses Ziels eine Schlüsselrolle. Wenn wir Systeme ersetzen wollen, die die nächsten 25 Jahre funktionieren sollen, müssen wir mit unseren Lösungen auch auf dem höchsten Stand der Technik sein.

 

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