Schweiz macht gegen Bargeld mobil

Schweizer lieben Bargeld. Durch kontaktloses Bezahlen mit der Kreditkarte und Handy-Lösungen soll sich das ändern. In diesem Jahr starten in der Schweiz mehrere Initiativen, die Kunden das bargeldlose Zahlen versüssen wollen. Die Systeme unterscheiden sich stark. Lesen Sie wie Netceteras Experte Thomas Fromherz, Head of Payment & Card Services, den Stand der Dinge beim mobilen Bezahlen in der Schweiz einschätzt und mehr.

Lange war die Bezahlwelt klar geregelt, gerade für Schweizer Konsumenten war Bargeld das Wichtigste im Portemonnaie. Daneben steckte eine Debitkarte für kleine Beträge, eine Kreditkarte für Grosses und das Ausland. Dieses Dreigespann setzte sich in der Vergangenheit gegen innovative Ideen immer durch. Aber jetzt machen digitale Lösungen dem Bargeld Konkurrenz. Ganz aktuell ist die realistische Vision von Swatch-Oberhaupt Nick Hayek. Anfang Monat kündigte er an, in drei Monaten eine Smart-Watch herauszubringen, mit der im Laden auch bezahlt werden kann. Apple will im April seine Version einer solch smarten Uhr auf den Markt bringen. Doch wie kommt das Geld in die Uhr? Viele Akteure haben kürzlich digitale Lösungen lanciert oder bereiten sie fürs laufende Jahr vor. Michel Rudin, Geschäftsführer des Konsumentenforums, sagt: «Wer momentan eine neue Kartenlösung sucht, sollte möglichst noch zuwarten und sich anschauen, was das Jahr bringt.»

NFC-Kassen erobern die Schweiz

Ohne die Near Field Communication-Technologie (kurz NFC) wäre diese Dynamik im Kartenmarkt nicht denkbar. Diese drahtlose Übertragungstechnik ermöglicht einen kontaktlosen Austausch von kleinen Datenmengen auf kurze Distanz. An NFC-Kassen kann mit entsprechenden Karten schon jetzt bezahlt werden - man muss diese schlicht vor das Gerät zur Datenübertragung halten. Und in der Schweiz ist das NFC-Netz sehr engmaschig. Dafür sorgen die Detaillisten Coop und Migros, die SBB und Ketten wie McDonald's. Ohne Aufpreis für den Kunden dürften bald alle Schweizer Karten NFC-fähig sein. Laut Branchenaussagen sind momentan über 83 000 Terminals kontaktlos und mit rund 2,5 Millionen Karten knapp unter 50 Prozent der Karten NFC-fähig. Doch je nach Kartenherausgeber liegt der Anteil um einiges höher. Bereits jeder fünfte Kunde, der an einer der 8500 NFC-Kassen von Migros mit Karte bezahlt, tut dies kontaktlos. Die besten Werte misst Migros bei den Subito-Selfcheckout-Stationen, wo in der Regel kleinere Einkäufe getätigt werden. 90 Prozent der Kontaktlos-Käufe betreffen einen Betrag unter 40 Franken - erst wenn es teurer wird, muss ein PIN eingegeben werden.

Tapit braucht eigene SIM-Karte

«Alles schön und gut, doch der richtige Mehrwert für den Kunden kommt erst, wenn er keine Karte mehr zücken muss», sagt Thomas Fromherz, Head of Payment & Card Services beim Zürcher Softwarehaus Netcetera. Beim Bezahlen per Smartphone ist laut Branchenprognosen auch riesiges Wachstumspotenzial vorhanden. Theoretisch ist das an NFC-Kassen in der Schweiz seit Juli 2014 möglich: Die Swisscom hat hierfür ihre App namens Tapit lanciert. Momentan funktioniert der Dienst über Karten von Cornècard und Viseca mit zahlreichen Android-Modellen. Inzwischen wurde die App rund 10 000 Mal heruntergeladen, doch Tapit kommt dennoch nur schleppend in Gang. Branchenkenner Fromherz überrascht das nicht. Für ihn ist die Bezahllösung zwar ausgereift, doch der Kunde muss für die Registrierung seiner Kreditkarten eine hohe Schwelle überschreiten, beispielsweise eine spezielle SIM-Karte fürs Handy anfordern. Apple hat derweil vorgemacht, wie einfach es gehen kann. Seit September 2014 hat Apple Pay im US-Markt einen erfolgreichen Start hingelegt. Hier kann der Kunde in ein sogenanntes Wallet verschiedene Karten digital ablegen und darüber per Fingerabdruck-Scan bezahlen. Fromherz sagt dazu: «Das Integrieren der Karten hat bei mir nur wenige Minuten gebraucht. Das Bezahlen ist intuitiv und mit dem Fingerabdruck auch sicher.»

Entwicklungen auf Hochtouren

Genauso einfach soll es auch in der Schweiz werden - dafür hat sich die Schweizer Kartenindustrie zusammengetan. Unter dem Projektnamen Swissalps arbeitet man unter Hochdruck an der technischen Umsetzung einer neutralen Wallet-Lösung. Auch Apple Pay will man in das standardisierte Ökosystem für das Bezahlen im Internet und per Handy einbinden. Federführend ist die Zürcher Aduno-Gruppe; der Finanzdienstleister gibt über die Tochter Viseca selbst Karten heraus. An Swissalps sind sämtliche Schweizer Kreditkartenherausgeber (Mastercard-, Visa- und American-Express-Karten beteiligt). Derweil wird auch bei der Migros und Postfinance an eigenen Anwendungen für das Handy-Bezahlen getüftelt. Bei Migros soll es um die Bezahlung bei den eigenen Läden gehen; konkrete Informationen sind noch nicht bekannt. Die Postfinance lässt gerade ihr Tochterunternehmen Twint eine gleichnamige App entwickeln, die ab Sommer eingeführt werden soll. Völlig unabhängig von Kredit- oder Debitkarten soll die kostenlose App als Prepaid-Wallet mit verschiedenen Lademöglichkeiten funktionieren. Twint setzt aber nicht auf die NFC-Technologie, sondern mit Bluetooth auf einen wieder anderen Funkstandard. Die Läden müssen sich dafür neu ausrüsten.

Konsumenten entscheiden

Bis jetzt halten die Konsumenten mit dieser Dynamik gut Schritt, weiss Experte Sandro Graf von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW): «Noch 2013 kam es vielen gespenstisch vor, ohne PIN-Code mit dem Handy zu zahlen - jetzt zeigen unsere Untersuchungen, dass das Wissen darum rasant gewachsen ist.» 2015 wird es für Konsumentinnen und Konsumenten noch allerhand zu lernen geben. Letztlich entscheiden nur sie darüber, was sich durchsetzt und welchem Anbieter sie somit ihre sensiblen Kundendaten anvertrauen.

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