Ist User Experience die Zukunft des Digital Banking?

Das digitale Banking hat sich rasant entwickelt – von Bankomaten in den 1960er-Jahren bis hin zu mobilen Apps, die heute ganze Banken in unsere Hosentaschen bringen. Doch obwohl die Technologie grosse Fortschritte gemacht hat, haben viele Banken noch immer Mühe mit den Grundlagen einer digitalen User Experience. Schlechte Authentifizierungsraten, umständliche Interfaces und Services, die Menschen mit Behinderungen ausschliessen, zeigen, dass die Branche noch einen langen Weg vor sich hat. Ist User Experience also tatsächlich die Zukunft des Digital Banking – oder nur ein weiteres Buzzword, das bald wieder verschwindet?

Diese Frage stand im Zentrum einer Diskussion im Future Proof Podcast von G+D Netcetera, wo unser CEO Carsten Wengel mit Martin Meier sprach, Head of Strategy im Digital Banking bei G+D Netcetera. Martin bringt eine einzigartige Perspektive ein: Er hat 18 Jahre lang die Schweizer Bankenwelt digitalisiert, mit über 100 Banken gearbeitet und Mobile-Banking-Apps mitentwickelt, die täglich von Millionen Menschen genutzt werden.

Ihr Gespräch zeigt, warum Customer Experience nicht nur wichtig für die Zukunft des Bankings ist – sondern vielleicht sogar der entscheidende Erfolgsfaktor.

Zentrale Punkte:

  • Banken stehen vor einer binären Wahl: Hervorragende UX bieten oder digitale Kanäle meiden – Mittelmass schadet der Marke.
  • Der Wettbewerb ist nicht nur unter Banken: Big Tech und Neobanken setzen den Standard für intuitive Benutzererfahrung, während Gen Z TikTok-ähnliches Engagement erwartet und finanzielle Beratung auf Social Media sucht.
  • Inklusion und Innovation sind Pflicht: Von Gamification bis KI-gestützter Personalisierung – Banken müssen Unterhaltung, Barrierefreiheit und Vertrauen kombinieren.
  • Daten sind das neue Wettbewerbsfeld: Personalisierung und Datenschutz sind vereinbar – mit starker Sicherheit, Consent-basiertem Open Banking und einem human-zentrierten Ansatz.
  • Die Zukunft ist schon da: Banken, die UX nicht priorisieren, verlieren Digital Natives an Plattformen, die Bequemlichkeit und Begeisterung verbinden.

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Sollten Banken digitale Services bauen, wenn sie UX nicht beherrschen?

Diese Frage trifft den Kern der modernen Banking-Strategie. Viele Banken stecken im Dilemma: Ihre digitalen Services sind weder konkurrenzfähig gegenüber Tech-Giganten noch bieten sie Kund:innen echten Mehrwert.

UX im Banking als entscheidender Markenfaktor

Doch was ist mit Banken, die versuchen, mit mittelmässigen digitalen Erfahrungen durchzukommen? Martin warnt klar vor den Risiken – und die gehen weit über Kundenzufriedenheit hinaus:

«Ich würde wirklich vermeiden, eine schlechte User Experience aufzubauen. Denn das schlägt direkt auf deine Marke und deren Wahrnehmung am Markt zurück.»

Die Lage wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass Banken längst nicht mehr nur untereinander konkurrieren. Das Spielfeld hat sich verschoben – traditionelle Banken stehen heute im Wettbewerb mit Firmen, die völlig andere Ressourcen und Prioritäten haben.

«Du musst mit Big Techs und auch mit Neobanken konkurrieren – also Onlinebanken, die massiv in die Kundenschnittstelle investieren.»

Die Anforderungen steigen zudem weiter. Heutige Banken müssen Erlebnisse schaffen, die für alle Menschen funktionieren – auch für Menschen mit Behinderungen. Martin erklärt, dass sein Team gezielt Tests mit seh- oder hörbehinderten Personen durchführt, um sicherzustellen, dass ihre Apps wirklich inklusiv sind. Das ist nicht nur eine Frage der Compliance, sondern auch der finanziellen Teilhabe.

Wie können Banken die Aufmerksamkeit von Digital Natives gewinnen, die sich finanzielle Beratung bei TikTok holen?

Die Realität ist unbequem: Die nächste Kundengeneration wächst in einer Welt auf, in der Banking-Apps mit TikTok, Instagram und YouTube um Aufmerksamkeit konkurrieren – und wo diese Plattformen zunehmend die erste Anlaufstelle für Finanzwissen sind.

Martin zieht dabei persönliche Beobachtungen heran – von seinen beiden Gen-Z-Töchtern:

«Dies ist die erste wirklich digital native Generation. Ihre Erwartungen an Banking-Apps sind enorm gestiegen: Alles muss immer verfügbar sein, mit einer Top-User-Experience. Sie sind nicht bereit, Kompromisse zu machen.»

Finanzberatung verlagert sich ins Social Web

Noch grösser ist die Herausforderung, dass diese Generation Finanzberatung  gar nicht mehr bei Banken sucht.

«Wir haben festgestellt – und Studien bestätigen das – dass die junge Generation ihre Finanzinformationen nicht bei Banken einholt, sondern auf Social Media wie TikTok oder YouTube.»

Carsten illustriert den Generationenwechsel mit einem treffenden Vergleich:

«Früher haben wir für Reiseplanung noch Reiseführer in Papierform gekauft. Die nächste Generation nutzte TripAdvisor. Und heute? Sie gehen auf TikTok oder YouTube – und folgen, was Influencer empfehlen.»

Für Banken bedeutet das: Sie konkurrieren mit unterhaltenden Content Creators – und gleichzeitig eröffnet sich die Chance, NextGen-Kund:innen durch Finanzbildung zu erreichen.

Gamification macht Banking spannend und lohnend

Carsten bringt das Thema Gamification ins Spiel:

«Damit können wir Banking-Erlebnisse viel unterhaltsamer und spannender machen.»

Martin nennt ein Beispiel: Monobank in der Ukraine. Hierbei werden die Nutzer:innen durch den Onboarding-Prozess geführt. Wenn sie eine physische Werbung der Bank sehen, könnten sie diese scannen, woraufhin eine Katze sie durch den weiteren Ablauf begleite. Dabei sei es sogar möglich, Punkte zu sammeln, während man den Prozess durchläuft.Das Ergebnis: Innerhalb von zwei Jahren erreichte die Bank 35 % Marktanteil und eine 4.9 App-Store-Bewertung.

«Das ist beeindruckend im Vergleich zu anderen Banking-Apps – weil es echten Wert für Kund:innen und Bank verbindet.»

Die Botschaft ist klar: Wer Digital Natives erreichen will, muss Banking so attraktiv machen wie Social Media.

Amazon-ähnliche Personalisierung ohne Datenschutzverletzung?

Amazon-ähnliche Personalisierung ohne Datenschutzverletzung?

Der heilige Gral des Digital Bankings könnte darin bestehen, eine nahtlose, personalisierte Nutzererfahrung zu schaffen – so wie Kund:innen sie von Amazon kennen: ein Service, der ihre Bedürfnisse voraussieht und ihnen genau das bietet, was sie wollen, und zwar genau dann, wenn sie es wollen.
Anders als im E-Commerce geht es im Banking jedoch um äußerst sensible persönliche Daten – was den Stellenwert von Datenschutz und Privatsphäre deutlich erhöht.

«Es wäre ein grosser Fehler, Daten nicht zu nutzen», so Martin. «Sonst macht es jemand anderes – und bietet Finanzservices in deinem Namen an.»

Doch Personalisierung muss nicht auf Kosten der Privatsphäre gehen. Martin verweist auf neue Konzepte wie Digital Twins:

Digital Twins: Personalisierung ohne Übergriff auf Privates

Martin berichtet, dass kürzlich mehrere Gespräche im Bereich der Finanzberatung geführt wurden, in denen es um das Konzept des „Digital Twin“ ging. Dabei gehe es darum, die eigene finanzielle Situation sowie die individuellen Prioritäten im finanziellen Leben zu verstehen. Wenn man dies erfassen könne, lasse sich sozusagen ein „digitaler Zwilling“ identifizieren – also ein Profil, das typische Verhaltensweisen und Entscheidungslogiken abbildet. Besonders wertvoll sei dieses Konzept, weil es dabei helfe, zu verstehen, wie Menschen Entscheidungen treffen und was sie in ihrer finanziellen Lebensführung unterstützen könnte.

Der besondere Reiz des Digital-Twin-Ansatzes liege darin, eine personalisierte Nutzererfahrung zu ermöglichen, ohne dass Banken dafür extrem detaillierte persönliche Daten speichern oder analysieren müssten. Anstatt jede einzelne Transaktion zu verfolgen, könne das System Muster erkennen und Kund:innen mit ähnlichen finanziellen Profilen zusammenführen – insbesondere solche, die bereits vergleichbare Entscheidungen getroffen hätten.

Martin erklärt weiter, dass er kürzlich darüber nachgedacht habe, Daten aus der Finanzberatung mit Transaktionsdaten zu kombinieren. Ziel sei es, durch die Zusammenführung beider Datenquellen noch individuellere und relevantere Finanzangebote zu schaffen.

Diese Kombination berge großes Potenzial: Während Transaktionsdaten zeigten, wie Kund:innen tatsächlich mit ihrem Geld umgehen, spiegelten Beratungsdaten wider, welche Ziele und Absichten sie äußern. Die Verbindung beider Perspektiven könne es Banken ermöglichen, echte finanzielle Orientierung zu bieten – statt nur generischer Produkte.

Carsten äußert in diesem Zusammenhang eine Sorge, die viele Kund:innen – und auch Regulierungsbehörden – teilen dürften. Er findet den Ansatz zwar spannend, gibt aber zu bedenken, dass es beunruhigend sei, wenn Banken durch die Verknüpfung solcher Daten potenziell Zugriff auf Informationen über das gesamte Leben eines Menschen hätten – über Vergangenheit wie Zukunft. Die entscheidende Frage sei daher: Wie lässt sich sicherstellen, dass diese Daten verantwortungsvoll behandelt werden und nicht in die falschen Hände geraten?

Drei-Säulen-Ansatz für Datenschutz und Sicherheit

Martin beschreibt drei Pfeiler für den sicheren Umgang mit Daten:

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  1. Informationssicherheit: Schutz vor Cyberangriffen.
  2. Identity Management: Kontrolle über die eigene digitale Identität und verifizierte Onboarding-Prozesse.
  3. Open Banking mit Consent: Datenfreigabe nur mit Zustimmung der Kundschaft – auch für Drittanbieter.

Dieser Ansatz verspricht, eine Personalisierung ähnlich wie bei Amazon zu bieten und gleichzeitig das Vertrauen der Kund:innen sowie die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben zu gewährleisten. Die zentrale Erkenntnis dabei ist, dass Datenschutz und Personalisierung keine Gegensätze sein müssen – wenn Kund:innen die Kontrolle über ihre Daten behalten, sind sie oft eher bereit, diese im Austausch für wertvolle Services zu teilen.

Fazit: UX ist der entscheidende Erfolgsfaktor

Martins Vision für das Banking legt nahe, dass die Nutzererfahrung nicht nur für die Zukunft wichtig ist, sondern möglicherweise das einzige Unterscheidungsmerkmal zwischen erfolgreichen Banken und solchen, die irrelevant werden, darstellt.

„Digitales Banking wird noch digitaler, noch verfügbarer, noch unmittelbarer. Es wird viel persönlicher sein“, prognostiziert Martin. „Wir haben bereits digitale KI-Assistenten, die im finanziellen Alltag unterstützen können.“

Doch um diese Zukunft zu erreichen, müssen Banken heute strategische Entscheidungen treffen: Wo sollen sie ihre Ressourcen fokussieren und wie können sie sich in einem immer dichter werdenden Wettbewerbsumfeld behaupten?

Das Gespräch mit Martin hebt drei zentrale Fragen hervor, die sich jede Bank stellen muss:

  • Lohnt es sich, in herausragende Nutzererlebnisse zu investieren, oder sollte der Fokus anderswo liegen?
  • Wie schaffen sie es, Banking so ansprechend zu gestalten wie Social-Media-Plattformen, die die Aufmerksamkeit ihrer Kund:innen fesseln?
  • Wie können sie Kundendaten nutzen und gleichzeitig die Sicherheit und das Vertrauen der Kund:innen gewährleisten?

„Bei G+D Netcetera entwickeln wir menschorientierte Systeme“, erklärt er. „Den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen – dessen, was ich tue und worauf ich Wert lege – das ist mein Fokus.“

 

Es scheint, dass sich im Digital Banking die Nutzererfahrung von einem netten Zusatzmerkmal zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil entwickelt hat.

 

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